Kai Krause Meanderae

Die letzten zehn Jahre habe ich relativ rigoros mein ‘Presse Embargo’ aufrecht erhalten, einfach im Sinne von Lebensqualität. Die einzige Ausnahme waren jedes Jahr die philosophischen Essays in der edge.org Gruppe von John Brockman in New York, die inzwischen in den neun Anthologien veröffentlicht worden sind.
Die aktuelle Edge Frage für 2014 ist gerade veröffentlicht worden just published.

Ich werd mal ein paar Director’s Cut Originalversionen hochschieben, hier einer als Auftakt:
Der Gruppe von Wissenschaftlern, Denkern und Künstler wird zuerst eine Frage gestellt...

Woran glauben Sie,
ohne es beweisen zu können ?

Um das zu beantworten schrieb ich einen ziemlich ernsthafen Essay, aber er dreht sich um einen scheinbar ‘lockeren Sprachscherz’ der leider kaum auf Deutsch zu übersetzen ist:
Das Konzept von ZEN verband ich dabei mit der zeitlichen Metapher THEN.
(Das Wort ‘Zen’ wird im Englischen mit einem weichen S ausgesprochen, so wie die erste Silbe von “Sender”, und daher sehr nahe an dem S Laut des “Then”.)

I always felt, but can't prove outright…

Zen is wrong.
Then is right.

Es mag sich zunächst nur nach einem Wortspiel anhören, aber dem liegt eine tiefere Frage zu Grunde, die mich schon viele Jahre intensiv beschäftigt: die träge Kontinuität der Zeit - und manchmal das genaue Gegenteil: Jahre verfliegen einfach im Winde…

Natürlich habe ich damit in keiner Weise wirklich etwas gegen ZEN sagen wollen, oder irgendeine religiöse oder anderweitige Glaubensrichtung… das war lediglich der Auslöser um einen meandernden roten Faden durch diese Zeiterfahrungen zu weben.

Hier also notgedrungen etwas transliteriert aus dem Englischen:

Ich habe immer schon geglaubt, aber kann es nicht beweisen…

Zen ist falsch.
Then ist richtig.


Es dreht sich nicht alles nur um das Jetzt,
so wie ‘hier und jetzt’ oder ‘für den Augenblick leben’

Ganz im Gegenteil: ich glaube es geht viel mehr um
das Davor
und das Danach

Um die Erwartung des Moments,
und die Erinnerung an den Moment,
…aber eben nicht um den Moment selbst.

Im Deutschen gibt es dafür dieses wunderbare kleine Wort: “Vorfreude”
Es ist eine etwas andere Schattierung als nur Vergnügen, oder Lust oder auch Erwartung
Es ist eben die ‘Begeisterung Davor’, das ‘Prä Entzücken’

“Vorfreude” drückt in einem Wort diese zeitliche Beziehung aus:
die Wonne der Vorwegnahme der Ankunft des Moments
diese “kann’s kaum abwarten” Euphorie
der Hoffnung das Etwas sein wird oder ein Ereignis passieren wird

Ob ganz im Kleinen...
wie der besondere Geschmack eines Lieblingsessens, oder auf seinen Partner zu warten, oder ein Moment in einem wunderbaren Lied, oder die besondere Szene in einem Film...

Oder die großen Momente:
die Erwartung eines ersehnten Urlaubs, der Umzug in ein neues Heim,
bis zur Dankesrede zum Nobelpreis oder die Geburt eines Babys…


Uns wurde imme wieder von weisen Männern, Dalais und Maharishis erzählt, dass sich das gesamte Leben vermeintlich nur um den Moment selbst dreht, dass wir die Sekunde wertschätzen müssen und uns nicht mit dem normalen Zeitfluss herumschlagen sollen… ‘Lebe für das Jetzt’, so sagten sie immer.

Aber für mich selbst, schon seit Kindestagen, habe ich irgendwie realisiert:
die wirkliche Schönheit liegt in der Zeit davor,
in der Hoffnung, der Erwartung,
das imaginäre Bild im Kopf, in zeitloser Perfektion gemalt,
von jenem Augenblick…
der dann vorüber ist, in einem Augenblick…

Dann nämlich ist es die Erinnerung, die wirklich bei dir bleibt,
der Blick zurück auf jene Zeit, die Besinnung
‘weißt du noch, damals?’ ?
‘ich kann mich ich noch gut entsinnen…’


Nichts ist je wirklich so schön wie diese Abstraktionen,
die wir uns durch rosarote Brillen der Erwartung machen…

Die Hoffnung des kleinen Kindes auf den ‘wundervollen Weihnachtsmann an Heiligabend’ entpuppt sich als… ein dicker Typ mit dubiosem Modegeschmack.

Auf den allerersten Kuss zu warten, da laufen schon sanfte Schauer über den Rücken, aber wenn es dann wirklich passiert…
… sind es eher nur ein Haufen Moleküle die da kollidieren, ziemlich schmuddelig irgendwie

Nein, es ist nicht dieser wirkliche Moment der wichtig ist.

In der Vorfreude
wird der Moment idealisiert,
durch die Unschuld des
‘noch nicht wissen’…

In der Erinnerung
wird der Moment idealisiert,
durch die Gedächtnisfilter des
‘nicht mehr wissen’...


In der ZEN Version:
Der Versuch ‘die Schönheit des Augenblicks - in genau dem Augenblick’ zu würdigen ist in meinen Augen ein eher trauriges Unterfangen.
Nicht so sehr weil man es nicht schaffen könnte…
Sicherlich kann man das: es wurden alle möglichen Methoden vorgeschlagen ‘wie man ein glücklicher Mensch werden kann’ diese Kunst zu meistern.

Aber es impliziert, per Definition, dass alle anderen Momente
ebenso in diesem Rampenlicht ‘vergrößert’ werden:
das profane, langweilige und gar hässliche,
und schlimmer noch: die Routine des Alltags sich mit all dem Kleinkram herumzuschlagen Unausweichlich ist man gezwungen, die Un-Schönheit der Mehrzahl an Momenten zu sehen


In der THEN Version:
ist es ziemlich genau das Gegenteil: die langen Phasen davor und danach sind was zählt.
Sie dauern hundert oder tausendmal länger als der Moment selbst,
und richtig angewandt können sie den alltäglichen Trott bis auf ein Minimum verdrängen.


Einfach ausgedrückt:
Lebe dein Leben in der tiefen Genugtuung immer etwas zu haben auf das man hoffen kann, etwas auf das man warten kann,
unverwirklichte Pläne,
Träume die nicht wahr geworden sind…
Sorge dafür dass es neue Punkte am Horizont gibt,
auf die man hinzielen kann
und die man dafür absichtlich neu kreiert.

Und gleichzeitig lass deine Erinnerungen aufleben,
halte sie wach und würdige sie
teile sie mit anderen
rede über sie ( selbst wenn nur mit dir selbst, falls nötig )


Mit anderen Worten, die ‘Executive Summary’:

Mach’ Pläne
&
Mach’ Fotos


Fazit:

Keine Ahnung wie man eine solch ‘erhabene’ philosophische Theorie beweisen sollte, aber ich habe jetzt schon die große Vorfreude auf den Moment wenn es passieren möge...

und wenn ich es einmal getan habe,
werde ich es sicherlichst
niemals vergessen.